Als berühmtes Model der 1960er und 1970er Jahre war Ewgenija Hartleben-Kurakina im Mittelpunkt der äußerst lebendigen Leningrader Modeszene. Im Gespräch mit dieser eleganten Dame wollte globe-M erfahren, was sie von der heutigen Mode hält.
globe-M: Wen würden Sie als den größten Modemacher aller Zeiten nennen? Haben Sie überhaupt einen Lieblingsdesigner?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Coco Chanel ist und bleibt die unbestrittene Königin der Haute Couture. Sie kreierte die Silhouette für die Frau des 20. Jahrhunderts, förderte Kunst und erfand das einmalige Parfüm „Chanel Nr. 5“. Dafür gebührt ihr mein tiefster Respekt. Chapeau! Vor einiger Zeit wurde sie übrigens in einer Filmbiografie ganz exzellent von der bezaubernden Audrey Tautou verkörpert. Auch im Film sieht man, dass Coco Chanel stilistisch unübertroffen ist.
Audrey Tautou als Titelheldin in „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ (2009)
globe-M: Als gefragtes Mannequin haben Sie naturgemäß unzählige Modelle vorgeführt. Denken Sie an die eine oder andere Kreation besonders gern zurück?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Es waren in der Tat unzählige Modelle, die ich auf den Catwalks der Sowjetunion und im Ausland vorgeführt habe. Darunter gab es auch manche Lieblingstücke. Leider gibt es in meiner Sammlung nicht so viele Fotos, dass ich wirklich mein allerliebstes Modell aussuchen könnte. Der Grund dafür ist ganz einfach: Zu meiner Zeit hatten Mannequins kein Anrecht auf die Aufnahmen. Jedes Foto, das man besaß, war entweder ein Geschenk oder ist einem „zugeflogen“. Dazu möchte ich erwähnen, dass unser „Hoffotograf“ Peter Segal einer der wenigen war, der in der damaligen UdSSR die Mode auf Fotopapier und nicht im Offsetdruck festhielt. Aber um auf Coco Chanel zurückzukommen, zeige ich Ihnen eine Aufnahme, die belegt, dass ihr eleganter Stil auch in Leningrad Nachahmer fand.
Model Ewgenija Kurakina, Foto Peter Segal, 1968
© kurakina collection
globe-M: Haben Sie eine persönliche Definition von Mode? Was ist das überhaupt?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Ich glaube, dass Mode ein Zeichen für die stete Erneuerung und Wandlung der Geschichte ist, die sich in der recht kurzlebigen Dominanz eines bestimmen Geschmacks äußert. Es ist aber auch eine Art sich darzustellen und eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Oft wird Mode ganz zufällig geboren: Jemand kramt in Omas Mottenkiste und entdeckt dort eine Blume aus weicher Seide, eine Pompadour-Tasche oder eine asphaltgraue Strickschlupfhose. Der aufmerksame Designer bemerkt solche „zufälligen“ Sachen auf der Straße und greift sie auf.
globe-M: Was mögen Sie an der Straßenmode von heute?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Ich finde sie oft interessant und bin für alle Tendenzen offen. Manchmal bewundere ich sogar, wie harmonisch sich manche junge Menschen zurechtmachen.
globe-M: Gibt es dabei Sachen, bei denen Sie bedauern, nicht mehr Siebzehn zu sein?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Eigentlich trauere ich den Jahren nicht nach, denn jedes Alter hat einen gewissen Charme. Der einzige wesentliche Unterschied ist, dass man mit Siebzehn buchstäblich einen Kartoffelsack überziehen kann, man macht ihn an der Taille mit einer großen Sicherheitsnadel fest und sieht dabei unwiderstehlich aus.
globe-M: Wenn man von politischen, wirtschaftlichen und anderen Umständen absieht, in welchem Zeitalter würden Sie am liebsten als modebewusste Dame leben?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Da muss ich kurz nachdenken… Ich fühle mich auf jeden Fall von den 20er Jahren und dem so genannten „Chicago-Stil“ angesprochen. Diese Zeit schenkte den Frauen Leichtigkeit und Unabhängigkeit. Die wichtigste Rolle spielten Accessoires wie lange Handschuhe, Glockenhüte und Schmuck zu allen Outfits. Wichtig waren auch der Bubikopf und das Make-up: helle Haut, dunkle Lidschatten und kräftige Farben an den Lippen. Die Mode war sehr feminin und originell, und die Zeit ganz schön verrückt.
globe-M: Ich darf doch einige Fragen zu Ihren privaten Vorlieben stellen? Wie viele Paar Schuhe besitzen Sie?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Es sind nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige. Meistens bleibe ich meinem Stil treu: Ich mag gern Stöckelschuhe und den Louis-XV-Absatz.
globe-M: Welche Farbe fehlt in Ihrer Garderobe?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Da gibt es kein Violett und Dunkelblau. Es sind Farben, die meiner Meinung nach keine positiven Emotionen vermitteln. Ich dagegen möchte gern und oft lächeln.
globe-M: Welches Kleidungsstück darf in Ihrer Garderobe nicht fehlen?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Ich mag besonders gern Kleider in der besagten Chanel-Länge. Sie sind sehr feminin und elegant zugleich. Da teile ich die Meinung von Chanel, dass die Knie nicht die schönsten Körperteile sind, daher sollen sie nicht immer zur Schau gestellt werden.
globe-M: Was ist zurzeit ihr Lieblingskleidungsstück?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Ein cremefarbener Strickschal. Ich finde ihn sehr anregend. Und warm ist er auch.
globe-M: Welches Kleidungsstück kann aus einem Mauerblümchen eine modische, stilvolle Frau machen?
Ewgenija Hartleben-Kurakina: Das „Kleine Schwarze“ natürlich! Das knielange schwarze Kleid ist ein Klassiker, der keinem Modediktat unterliegt, es ist elegant, praktisch und stillvoll. Es ist zeitlos und zeitgemäß zugleich.
globe-M: Vielen Dank für das Gespräch
Weitere Informationen:
In den 1960er und 1970er Jahren arbeitete Ewgenija Hartleben-Kurakina als Mannequin im Leningrader Modehaus, wobei sie gleichzeitig Soziologie studierte. In diesen Jahren legte sie den Grundstock für ihre Sammlung sowjetischer Modefotografie, die sie mehrmals der Öffentlichkeit in Form einer Ausstellung vorstellte (globe-M berichtete). Zurzeit bereitet sie ein Projekt im Modemuseum Schloss Meyenburg vor, in dem die Fotos aus ihrer Sammlung mit historischen Kleidern aus der Sammlung Josefine Edle von Krepl gezeigt werden. Die Ausstellung soll im März 2012 eröffnen.
Das Gespräch führte Victoria Belikova
Quelle: globe-M